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Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern basiert nicht nur auf geschlechtsspezifischen Normen, sondern auch, wenn nicht sogar noch mehr, auf den wahrgenommenen Geschlechternormen. Eine neue Umfrage in 60 Ländern zeigt, dass falsche Vorstellungen über die Unterstützung von Fördermassnahmen für Frauen weitverbreitet sind.
Die Unterstützung für positive Diskriminierung — zum Beispiel, dass Frauen bei der Besetzung von Führungspositionen der Vorzug gegeben werden sollte — wird in Ländern mit kleiner Geschlechtergleichheit unter- und in Ländern mit grösserer Geschlechtergleichheit überschätzt, zeigt eine aktuelle Studie von David Yanagizawa-Drott.
«In den Ländern des globalen Südens mit der geringsten Geschlechtergleichheit, wie Indien, Brasilien und Tansania, wird die Unterstützung für positive Diskriminierung stark unterschätzt», fasst David Yanagizawa-Drott die Befunde zusammen, «während in den Ländern des globalen Nordens mit der grössten Geschlechtergleichheit, wie den Vereinigten Staaten oder den Niederlanden, die Unterstützung oft überschätzt wird.»
In Deutschland sind 41% der Befragten mit Massnahmen zur Frauenförderung einverstanden, während sie gleichzeitig annehmen, dass die Zustimmung der Gesamtbevölkerung bei 55% liegt. In der Schweiz stimmen 49% der Bevölkerung den Massnahmen zur Förderung von Frauen zu, gehen aber davon aus, dass 59% ihrer Mitmenschen solche Initiativen unterstützen. In den Niederlanden, wo die Gleichstellung sehr ausgeprägt ist, sind die Unterschiede sogar noch deutlicher. Während nur 32% der Befragten affirmative Massnahmen unterstützen, gehen sie davon aus, dass 49% der Bevölkerung dies tun.
Unterstützung durch Frauen wird überschätzt
Die Fehleinschätzungen sind darauf zurückzuführen, dass die Unterstützung durch Frauen über- und die Unterstützung durch Männer unterschätzt wird. In der Schweiz unterstützen 48% der Frauen positive Diskriminierung. Die Befragten gingen jedoch davon aus, dass 68% der Frauen solche Massnahmen unterstützen; eine Überschätzung von 20 Prozentpunkten. Bei den Schweizer Männern hingegen unterscheiden sich die wahrgenommene und die tatsächliche Unterstützung kaum (49,8% gegenüber 49,3%). Für Deutschland finden die Autoren ähnliche Unterschiede: Die tatsächliche Unterstützung durch Frauen liegt bei 44%, während die wahrgenommene Unterstützung 64% beträgt. Die Unterstützung durch Männer wird mit 43% wahrgenommener vs. 38% tatsächlicher Unterstützung leicht überschätzt.
Geschlechterstereotypisierung
Diese Fehleinschätzungen könnten gemäss den Autoren auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein: Eine übermässige Medienberichterstattung über Minderheitenthemen, die Tatsache, dass "lautstarken Minderheiten" in der Öffentlichkeit sichtbarer sind oder überholte Normen, die in Geschlechterstereotypen weiterhin präsent sind.
Die Wahrnehmungslücke schliessen
Frühere Studien haben gezeigt, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Ländern mit geringerer Gleichberechtigung erhöht werden kann, indem die überholten Annahmen an die Realität angeglichen werden, erklärt Koautor David Yanagizawa-Drott. Obwohl das Ausmass und die Ursachen für diese Fehleinschätzungen in den einzelnen Ländern und Kontexten sehr unterschiedlich sind, gibt es Interventionen, die die tatsächlichen und wahrgenommenen Normen angleichen könnten.
Die Ergebnisse zeigen auch, wie falsche Wahrnehmungen von Geschlechternormen Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter behindern und dazu beitragen können, eine Geschlechterpolitik aufrechtzuerhalten, die von den Frauen nicht unbedingt bevorzugt wird.
Bursztyn L., Cappelen A. W., Tungodden B., Voena B. & Yanagizawa-Drott, D. H.
How Are Gender Norms Perceived?
NBER Working Paper 31049, 2023