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Department of Economics

Nobelpreis: Wie Institutionen über Arm und Reich entscheiden

Florian Scheuer und David Hémous erläutern in diesem Beitag eine zentrale ökonomische Frage, für die der diesjährige Wirtschafts-Nobelpreis vergeben wurde.
 

Die diesjährigen Gewinner des Wirtschaftsnobelpreises zeigen den Einfluss von Institutionen auf den Wohlstand eines Landes. Die drei Preisträger sind eng mit der Universität Zürich verbunden.

Das Pro-Kopf-Einkommen in der Schweiz ist kaufkraftbereinigt 75-mal höher als in der Demokratischen Republik Kongo, einem der ärmsten Länder der Welt. Wie lassen sich derart extreme Unterschiede im Wohlstandsniveau erklären? Und warum wächst die Wirtschaft mancher Länder, während sie andernorts stagniert oder gar schrumpft? Diese Frage hat auch die diesjährigen Preisträger des «Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften» beschäftigt. Im Oktober 2024 ging der Preis an Daron Acemoglu, Simon Johnson und James Robinson.

Diese zentralen Fragen beschäftigen die Volkswirtschaftslehre schon seit den Zeiten von Adam Smith. Bereits 1776 trieben ihn diese Fragen um, auf die er in seinem Opus magnum «Der Wohlstand der Nationen" eine Antwort suchte. «Wenn man einmal beginnt, darüber nachzudenken, fällt es schwer, über etwas anderes nachzudenken», sagte der Ökonomie-Nobelpreisträger des Jahres 1995, Robert Lucas.

Traditionell erklärt die Ökonomie die unterschiedlichen Wachstumsraten von Ländern damit, dass sie unterschiedlich viel in Kapital, Bildung oder technologische Innovationen investieren. Denn diese Investitionen fördern die Produktivität einer Volkswirtschaft und führen damit zu höherem Einkommen. Allerdings drängt sich sodann eine weitere Frage auf: «Warum» investieren manche Länder mehr als andere? Oder mit anderen Worten: Was sind die «fundamentalen» Ursachen des Wirtschaftswachstums?

Institutionen oder Wohlstand: Was war zuerst?

Bereits der Wirtschafts-Nobelpreisträger des Jahres 1993, Douglas North, hatte argumentiert, dass die Antwort in institutionellen Unterschieden zwischen den Ländern liege. Zu solchen Institutionen gehören insbesondere Regeln und Gesetze, welche die wirtschaftlichen Anreize von Firmen und Haushalten massgeblich beeinflussen – etwa die Garantie von Eigentumsrechten, die Unabhängigkeit der Justiz, funktionsfähige Märkte, politische Stabilität, ein effizientes Steuersystem oder gesellschaftliche Aufstiegschancen.

Doch diese Sichtweise war damals aus zwei Gründen umstritten. Erstens, weil die Kausalität tatsächlich in die umgekehrte Richtung wirken könnte, nämlich so, dass wirtschaftliche Entwicklung zur Einführung besserer Institutionen führt. Und zweitens war die Ansicht populär, dass geografische Faktoren entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung gewesen sind. Diese Sichtweise vertrat 1998 etwa der Naturwissenschaftler Jared Diamond in seinem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Bestseller «Arm und Reich». Seine Theorie betont natürliche und geografische Voraussetzungen wie etwa Bodenqualität, natürliche Ressourcen, Topografie, klimatische Bedingungen sowie Krankheiten wie etwa Malaria. Diese hätten wiederum Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktivität, die Transportkosten oder die Akkumulation von Humankapital, so seine These.

Nobelpreisträger lösen die Huhn-Ei-Frage

Hier setzt die Forschung der diesjährigen Preisträger des Wirtschaftsnobelpreises an. Beginnend mit einem aufsehenerregenden Artikel in der «American Economic Review» im Jahr 2001, haben die Ökonomen Daron Acemoglu, Simon Johnson und James Robinson kausale Evidenz für die Rolle von Institutionen bei der wirtschaftlichen Entwicklung vorgelegt. Darüber hinaus haben sie in einer Reihe von Forschungsarbeiten und Büchern neue Theorien entwickelt, die erklären können, weshalb ineffiziente Institutionen sich hartnäckig halten. Zudem haben sie Bedingungen definiert, unter denen institutionelle Reformen stattfinden können.

Um den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zwischen Institutionen und ökonomischer Entwicklung aufzuschlüsseln, gingen die Forscher in die Archive der Wirtschaftsgeschichte. Konkret betrachteten sie das Zeitalter der Kolonialisierung zwischen dem 15. und dem 20. Jahrhundert, als europäische Mächte begannen, Siedlungen auf anderen Kontinenten aufzubauen. Die Forscher argumentierten, dass die Europäer dort, wo die Sterblichkeit der ersten Siedler aufgrund von Krankheiten hoch war, rein «extraktive» Institutionen errichteten. Diese hatten den alleinigen Zweck, die vorhandenen Ressourcen auszubeuten. Demgegenüber wurden an Orten, die bessere Überlebenschancen boten, «integrative» Institutionen nach europäischem Muster aufgebaut. Das Ziel davon war, dort eine europäische Bevölkerung zu etablieren.

Ein Beispiel dafür sind die USA. Seit Beginn der Kolonialisierung errichteten die Siedler dort für die damalige Zeit relativ integrative Institutionen: Die 13 Kolonien waren von London ziemlich unabhängig und verfügten über eine gewählte Repräsentantenversammlung. Es gab jedoch einen grossen Unterschied: Im Süden war die Sklaverei weitverbreitet. Während sie es einer kleinen Elite ermöglichte, in der Plantagenwirtschaft beträchtlichen Reichtum anzuhäufen, ging dies zulasten eines Grossteils der Bevölkerung. Und da die etablierte Elite vom Status quo profitierte, bremste die Sklaverei Innovation und Industrialisierung. Mitte des 19. Jahrhunderts war der Süden erheblich ärmer als der Norden.

Ehemalige Kolonien mit hoher Sterblichkeit sind tendenziell ärmer (1995)

Quelle: Acemoglu, Johnson und Robinson (2001) / Die Volkswirtschaft

Aus Arm wird Reich

Aufgrund der Langlebigkeit solcher institutioneller Unterschiede sind Länder wie der Kongo oder Haiti, mit anfänglich hoher Siedlersterblichkeit, auch heute noch ärmer (siehe Abbildung). Die empirische Evidenz zeigt zudem, dass dies selbst dann der Fall ist, wenn sich die Länder geografisch ähneln. Hinzu kommt ein sogenannter Ressourcenfluch: Natürliche Ressourcen führen häufig zu extraktiven Institutionen, sodass rohstoffreiche Länder wie der amerikanische Süden oder Haiti, die ursprünglich relativ reich waren, sich letztlich weniger entwickelten als ursprünglich ärmere Länder wie der Norden der USA oder Australien.

Haiti war wie der Süden der USA von Plantagenwirtschaft und Sklaverei abhängig, aber im Gegensatz zum Süden der USA gab es dort gar keine integrativen Institutionen für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. Obwohl das BIP des Landes Ende des 18. Jahrhunderts vergleichsweise sehr hoch war, entwickelte es sich nie weiter. Im Gegensatz dazu ist die Schweiz ein Beispiel für ein Land, das von integrativen Institutionen profitiert hat. Sie erlebte keinen Absolutismus und wurde nach und nach demokratischer – unter anderem durch die Einführung der direkten Demokratie. Obwohl die Schweiz nicht zu den ersten Ländern Westeuropas gehörte, die sich industrialisierten, wurde sie schliesslich zu einem der reichsten Länder.

Die Arbeiten der diesjährigen Nobelpreisträger haben die Forschung zu grundlegenden Fragen des Wirtschaftswachstums stark beeinflusst. Insbesondere haben sie die Verknüpfung von wirtschaftshistorischen Analysen mit politökonomischen und wachstumstheoretischen Modellen gefördert. Die Überzeugung, dass Institutionen entscheidend für wirtschaftliche Entwicklung sind, ist heute weitverbreitet und hat auch Eingang in die Entwicklungspolitik gefunden.

Acemoglus Verbindungen nach Zürich

Insbesondere der türkisch-amerikanische Wirtschaftsprofessor Daron Acemoglu, der am US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrt, war schon länger als Kandidat für den Wirtschaftsnobelpreis gehandelt worden. Neben seinen mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Arbeiten hat er einflussreiche Forschung auf weiteren Gebieten der Volkswirtschaftslehre publiziert, die möglicherweise ebenfalls einen Nobelpreis verdient hätten. So erklärt er beispielsweise in seiner Arbeit über «directed technical change», unter welchen Umständen die Richtung des technologischen Fortschritts dazu neigt, die Einkommensungleichheit zu vergrössern oder schmutzige Energie gegenüber sauberer zu bevorzugt2.

Daron Acemoglu ist auch mit dem Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich eng verbunden. Er hat dieses regelmässig besucht, so etwa 2012 bei der Eröffnung des UBS Center for Economics in Society. Und er wird am 29. Januar am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich anwesend sein, um im Rahmen eines Vortrags sein neuestes Buch «Power and Progress» vorzustellen. Nicht zuletzt haben auch wir Autoren eine persönliche Verbindung zu Daron Acemoglu. So hat etwa David Hémous bereits mehrmals mit ihm geforscht3. Florian Scheuer hat 2010 seine Doktorarbeit am MIT unter seiner Betreuung abgeschlossen. Wir können beide bezeugen, dass Daron ein hervorragender Mentor ist, der seine Zeit grosszügig teilt und dessen Rat immer sehr hilfreich war.

 

Der Beitrag erschien zuerst in "Die Volkswirtschaft" - Siehe die vollständige Publikation.

Fussnote : 1: Siehe Smith (1776);  2 : Siehe Acemoglu, Aghion, Bursztyn, and Hémous (2012); 3 : Siehe etwa Acemoglu, Aghion, Bursztyn, und Hémous (2012)

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