Navigation auf uzh.ch
Wie konnte sich kooperatives Verhalten in der menschlichen Evolution durchsetzen? Forschende stellen zwei bisher vorherrschende Erklärungsansätze in Frage.
Eines der grossen ungelösten Rätsel der menschlichen Evolution ist die Frage, wie sich prosoziale, kooperative Verhaltensweisen evolutionär durchsetzen konnten. Was hat dazu geführt, dass in einer Welt, wo sich die materiell erfolgreichen Individuen vermehren und die anderen langsam aussterben, eine Verhaltensweise durchsetzt, die den Nutzen der Gemeinschaft höher gewichtet als den Nutzen des Individuums?
Die gängige Theorie besagt, dass dies aufgrund wiederholter Interaktionen passiert ist. Menschen haben über Generationen hinweg gelernt, dass sich kooperatives Verhalten langfristig auszahlt. Menschen arbeiten zusammen, weil sie erwarten, in Zukunft wieder mit denselben Individuen zu interagieren. Wer sich daher asozial verhält, erleidet einen Reputationsschaden und wird von den anderen mit unkooperativem Verhalten bestraft – weshalb sich unkooperatives Verhalten langfristig nicht auszahlt.
Es gibt aber sehr starke empirische Befunde, dass sich Menschen sogar in einmaligen und anonymen Interaktionen, in denen kein Reputationsschaden droht, kooperativ verhalten. Wie lässt sich das erklären? Dieser Frage gingen die Verhaltensökonomen der Universitäten Zürich, Lausanne und Konstanz nach. Dazu führten sie unter Ureinwohnern in Papua-Neuguinea ein Experiment durch.
In einer Art Vertrauensspiel mussten jeweils zwei Personen untereinander Geld tauschen und gleichzeitig abwägen, ob sie egoistisch-unkooperativ oder eher sozial-kooperativ handeln wollten (siehe Kasten). Das Fazit: Wenn sie mit einem anonymen Mitglied des eigenen Stammes gepaart waren, tauschten die Teilnehmenden sehr hohe Beträge. In Paarungen mit Mitgliedern von anderen Stämmen wurde dagegen nur sehr wenig transferiert.
In einer umfassenden theoretischen Analyse, die an das Experiment gekoppelt war, zeigen die Forschenden, dass die vorherrschende Theorie der wiederholten Interaktionen die Evolution der menschlichen Kooperation allein nicht erklären kann. Denn wiederholte Interaktionen ermöglichen nur dann die Evolution von Kooperation, wenn der individuelle Spielraum, die Kooperation zu reduzieren, willkürlich eingeschränkt wird. Gibt es keine derartigen willkürliche Einschränkungen, bricht die Kooperation zusammen.
Das liegt daran, dass selbst in wiederholten Interaktionen der Anreiz existiert, sich einen Vorteil zu verschaffen, indem eine Person stets ein kleines bisschen weniger als der Partner kooperiert. Im Zeitverlauf führt dies zum Zusammenbruch der Kooperation. «Dies ist vielleicht das provokanteste Resultat unserer Studie, da es dem Mainstream komplett widerspricht», sagt Letztautor Ernst Fehr von der Universität Zürich.
Eine zweite gängige These, wie sich Kooperation evolutionär entwickeln konnte, greift ebenfalls zu kurz: Die Idee, dass sich Gruppen mit mehreren teamorientierten Mitgliedern im Wettbewerb besser durchsetzen – und sich eine allgemeine Zusammenarbeit ausbreitet, weil weniger kooperative Gruppen aussterben. Die theoretische Analyse zeigt jedoch, dass durch die Migration von kooperativen und nicht-kooperativen Individuen zwischen den Gruppen, die kooperativen Gruppen geschwächt werden. Ausserdem kommt es auch zum Wettbewerb zwischen kooperativen Gruppen, was die allgemeine Kooperation in der Gesamtbevölkerung schwächt.
Wie aber lässt sich dann die offensichtliche Tatsache erklären, dass sich Menschen auch in einmaligen Interaktionen häufig sehr kooperativ verhalten? Die Autoren zeigen, dass dies durch das gleichzeitige Zusammenwirken beider Mechanismen erklärt werden kann. Sie fanden heraus, dass die beiden bekannten Mechanismen «wiederholte Interaktionen» und «Gruppenwettbewerb» synergetisch zusammenwirken und zu einer Form der superadditiven Kooperation führen.
Erstautor Charles Efferson von der Universität Lausanne fasst die Studienergebnisse so zusammen: «Sich wiederholende Interaktionen kreieren innerhalb der Gruppe einen Anreiz für Kooperation. Dies ist jedoch ein fragiler Zustand. Der Wettbewerb zwischen Gruppen wirkt sich dagegen stabilisierend auf diesen fragilen Zustand aus. Dies verstärkt einerseits die gruppeninterne Kooperation und fördert andererseits ein unkooperatives Verhalten mit Aussenstehenden.» Soziale Motive scheinen sich also in der Menschheitsgeschichte unter dem gemeinsamen Einfluss beider Mechanismen entwickelt zu haben.