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Department of Economics

Die Macht der Gewohnheiten

Manche Gewohnheiten schleichen sich unbemerkt in unser Leben ein, während wir uns an anderen ein Leben lang abmühen. Dr. Stephan Nebe, Senior Researcher am Department of Economics, untersucht, was die Entstehung von Gewohnheiten begünstigt oder erschwert.

"Ein grosser Teil unserer täglichen Handlungen läuft automatisiert ab, und das ist eigentlich gut so", erklärt Nebe im Gespräch an der Blümlisalpstrasse in Zürich, wo sich sein Büro befindet. Diese automatisierten Verhaltensmuster erleichtern unseren Alltag und entlasten unser Gehirn, sodass wir mehr Kapazität für bewusstes Denken haben. Nebe, der am Labor zur Erforschung Sozialer und Neuronaler Systeme (SNS-Lab) arbeitet, untersucht, wie Gewohnheiten im Gehirn entstehen. Seine Forschungsergebnisse haben vielfältige Anwendungen, von praktischen Tipps für den Alltag bis hin zur klinischen Erforschung von Suchterkrankungen oder Zwangshandlungen.

"Wenn wir in sich häufig wiederholenden Situationen dasselbe Verhalten zeigen und es funktioniert, ist das effizient", erklärt er. Problematisch wird es erst, wenn der Kontext ändert, das Verhalten aber nicht. Wer schon mal in einem Land mit Linksverkehr ein Auto gemietet hat, kennt die Situation: Anstatt die Gangschaltung zu bedienen, schlägt die Hand erst ein paarmal gegen die Fahrertür. Diese Gewohnheit ist meist nach kurzer Zeit und ohne viel Anstrengung überwunden, bei anderen Gewohnheiten braucht es mehr Zeit und Effort.

Belohnungen und Trigger

Was wir allgemein als schlechte Gewohnheit bezeichnen, bringt uns kurzfristig oft einen positiven Nutzen, langfristig aber einen negativen. Bei guten Gewohnheiten verhält es sich meist umgekehrt. Wie schnell sich eine Gewohnheit entwickelt, hängt unter anderem davon ab, wie stark der Belohnungsreiz im Gehirn ist. So schleichen sich schlechte Gewohnheiten schnell und oft unbemerkt ein, denn die Verstärkung durch die schnelle, positive Belohnung erleichtert den Lernprozess.

"Sucht kann man als Extremform einer Gewohnheit sehen", sagt Nebe. "Nikotin, Alkohol oder soziale Medien werden – zumindest zu Beginn – zielgerichtet zur Entspannung oder zur Aktivierung eingesetzt. Sie haben also einen positiven Nutzen. Dieser kann sich über die Zeit ändern und sogar negativ werden."

Eine Gewohnheit abzulegen, ist trotz negativem Nutzen leichter gesagt als getan. So findet sich manch eine:r ein paar Stunden nach dem überzeugten Entschluss, das Rauchen aufzugeben, an der Bushaltestelle mit einer Zigarette in der Hand. «Die Zigarette an der Haltestelle ist ein anschauliches Beispiel für automatisiertes Verhalten, das durch situative Reize ausgelöst wird. Die Stärke solcher Handlungstrigger ist erstaunlich", erklärt Stephan Nebe, "sie können aber beim Erlernen von neuen Verhaltensweisen auch bewusst eingesetzt werden."

Neue Gewohnheiten einüben

Die Zeit, die benötigt wird, um eine neue Gewohnheit zu etablieren, variiert und hängt von der Komplexität der Verhaltenssequenz und von der Stärke des Belohnungsreizes ab. Nebe empfiehlt, komplexe Handlungsabläufe in einfache Schritte zu unterteilen und die Macht von situativen Hinweisreizen zu nutzen. Wer also morgens die Joggingschuhe bereitlegt, diese nach der Arbeit sofort anzieht und danach wieder zur Haustüre rausgeht, muss nur drei einfache Handlungen einüben. Und wer sich zum Laufen gerne mit Freunden verabredet, verstärkt durch den zusätzlichen Belohnungsreiz des gemeinschaftlichen Erlebens die Gewohnheitsentwicklung.

Wenn die Belohnung ausbleibt

In seinem aktuellen Projekt untersucht Nebe mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), ob die alleinige Wiederholung von Verhalten ausreicht, um eine Gewohnheit zu etablieren, unabhängig von einer Belohnung. Mit dieser Studie betritt er Neuland, da die Gewohnheitsentwicklung bisher immer mit belohnungsbasierten Aufgabenstellungen erforscht wurde.
Mit dieser neuartigen Aufgabenstellung trennt er den Einfluss von Belohnung und Wiederholung auf die Gewohnheitsbildung. Aus seiner letzten Studie weiss Stephan Nebe, dass häufige Wiederholung allein schon einen Lernprozess auslöst, der Effekt ist aber um ein Vielfaches geringer als mit Belohnung. Wie dieser Lernprozess ohne Belohnung genau aussieht, untersucht er nun, indem er mit verschiedenen mathematischen Lernmodellen die Daten von 220 Proband:innen analysiert.

Teilnehmer:innen kamen an 5 Tagen für je circa 2 Stunden ins Labor, um verschiedene Verhaltensexperimente durchzuführen. Dieser umfangreiche Datensatz wird in aktuellen Studien ergänzt um bildgebende Verfahren wie MRT und EEG. "Es ist das erste Mal, dass ein Lernprozess über so viele Tage und mit Daten aus dem MRT-Scanner und dem EEG untersucht wird", erklärt er. In einer nächsten Phase wird Nebe gemeinsam mit der Psychiatrischen Universitätsklinik untersuchen, ob und wie sich dieser Lernprozess bei kokainabhängigen Personen unterscheidet.

 

Lesen Sie hier den vollständigen Artikel (auf Deutsch) (PDF, 4 MB)

 

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